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Kunststoff & Recycling: Alles, was Du wissen musst!

12 Fragen und Fakten zu Plastik, Recycling und Kreislaufwirtschaft — Ein Interview mit Dr. Roman Maletz vom Institut für Kreislauf- und Abfallwirtschaft der TU-Dresden 
Interview
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Roman Maletz ist promovierter Abfallwirtschaftler, seit 2015 am Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der TU Dresden und Spezialist für das Kunststoffrecycling. Daneben hat er sich mit der Optimierung von abfallwirtschaftlichen Prozessen und thermischen Anlagen beschäftigt und war zuvor in der Energiebranche als Planungsingenieur und Projektmanager tätig. Jetzt ist er bei der HolyPoly GmbH für den strategischen Wissensaufbau verantwortlich.

Herr Maletz, Wie viele Kunststoffsorten gibt es und wie viel Kunststoff wird in Deutschland produziert?

Es gibt mehr als 200 Kunststoffsorten, wobei der Löwenanteil von 95% der gesamten Verarbeitungsmenge auf 10 Sorten beschränkt ist. Produziert werden in Deutschland jährlich 14 Millionen Tonnen, daraus entstehen 6 Mio. Tonnen Abfall. Mehr als die Hälfte dieses Abfalls, ca. 3,5 Mio. Tonnen, landen über den Restabfall oder als Aufbereitungsverluste in Müllverbrennungsanlagen. Das bedeutet, dass ca. die Hälfte dieses Materials nicht im Kreislauf geführt wird.

Welche Kunststoffe meinen wir, wenn wir von Einwegplastik sprechen?

Das sind per Definition alle die Produkte, die nicht für mehrmaligen Gebrauch hergestellt werden. Dabei kommen üblicherweise wenige Kunststoffsorten zum Einsatz: Polystyrol (PS), Polypropylen (PP), Polyethylen (PE). In der Einwegkunststoffverbotsverordnung (EWKVerbotsV) wird die Herstellung von Wattestäbchen, Einweggeschirr aus Kunststoff und einzelnen Produkten aus Styropor (expandiertes Polystyrol, z.B. die “Assiette”) untersagt.

Kann der Verbraucher am Produkt erkennen, welches Plastik er kauft und ob es recyclingfähig ist?

Ja, es gibt im Verpackungsgesetz, also zumindest für Verpackungskunststoffe, die Empfehlung zur Kennzeichnung des Materials. Das geschieht über dieses dreieckige Pfeilsymbol auf den Produkten, welches die Sortenbezeichnung beinhaltet. Allerdings beschränkt sich die Angabe auf 6 verschiedene Sorten, die Nummer 5 steht dann z.B. für PP. Besteht ein Produkt nur aus einer der 6 Kunststoffsorten, ist eine grundsätzliche Recyclingfähigkeit schon einmal gegeben, da die Sortiermaschine das Material eindeutig erkennen und in den sortenspezifischen Verwertungsstrom lenken kann.

Alle anderen Kunststoffe, oder wenn es sich aus Verbunden mit mehreren Kunststoffsorten handelt, können mit der Nummer 7 gekennzeichnet werden. In diesen Fällen ist für den Verbraucher nicht feststellbar, ob das Material gut oder schlecht recycelbar ist.

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Es gibt eine Recyclingquote und eine Substitutionsquote. Welche Informationen liefern uns diese Quoten?

Die Recyclingquote besagt, welcher Anteil der betrachteten Abfälle stofflich verwertet wird. Nicht alle Kunststoffabfälle gelangen dabei in Verwertungsanlagen und es gibt Sortier- und Prozessverluste. In Deutschland werden zum Beispiel ca. 50% aller Kunststoffverpackungen recycelt. Das ist im internationalen Vergleich sehr gut. Ein besseres Maß für die Kreislaufführung von Kunststoffen ist die Substitutionsquote. Sie besagt, wie viel Primärmaterial durch sekundäres, also recyceltes Material in der Produktion ersetzt, also substituiert wird. Für Kunststoffe allgemein liegt diese Zahl in Deutschland bei knapp 14%, weltweit liegt der Anteil von Recyclingmaterial am gesamten Materialeinsatz bei ca. 10%. Da gibt es also noch viel zu tun.

Warum wird nicht bereits mehr recyceltes Material eingesetzt?

Es gibt hier verschiedene Hemmnisse:

  1. Recycling ist aufwendiger als die Herstellung von Primärmaterial. Die Prozesskette, von der Erfassung von recyclingfähigen Materialien bis zur Sortierung und Aufbereitung, sorgt für höhere Einkaufspreise für Rezyklat.
     
  2. Der hohe Qualitätsstandard von Primärmaterial ist mit Rezyklat derzeit nur mit hohem Aufwand zu erreichen. Durch die erwähnten Fehlsortierungen werden zum Beispiel schlecht recycelbare, verschmutzte, verklebte Kunststoffe oder auch falsche Kunststoffsorten dem weiteren Recycling zugeführt. Dort stellen diese dann eine Verunreinigung dar und das wirkt sich auf die Qualität des Sekundärmaterials aus.
     
  3. Das Design vieler Produkte ist nicht für Verwertbarkeit ausgelegt. Verschiedene Kunststoffe sind auf eine Weise in Produkten verbaut, dass sie sich nur schlecht für eine Wiederverwertung voneinander und von anderen Materialien trennen lassen.

Lässt sich die Recyclingfähigkeit überprüfen und wer macht das? Ist im Produkt drin, was draufsteht?

Es gibt da keine Instanz, die das für die immensen Mengen an verschiedenen Produkten überprüfen kann. Für Verpackungen gibt es zwar eine sogenannte “Zentrale Stelle”, die Empfehlungen für die Gestaltung von Verpackungen ausgibt und diese auch bewertet. Aber für den großen Teil der übrigen Kunststoffprodukte muss jeder Hersteller selbst das Bewusstsein dafür entwickeln. In diesem Bewusstseinswandel befinden wir uns gerade und hier will Holypoly seinen Beitrag leisten.

Wissen wir eigentlich, wo der ganze Plastikmüll landet?

Es gibt Studien, in denen untersucht wurde, wo der Plastikmüll herkommt, wie und wohin er in die Umwelt gelangt und was wir dagegen tun können. Der Begriff Marine Littering, also die Vermüllung der Ozeane durch Kunststoffabfälle oder der Eintrag von Mikrokunststoffen in die Umwelt sind ja seit vielen Jahren in der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung.

Die Eintragspfade sind also gut bekannt. Für die berühmten Müllstrudel in den Ozeanen gelten hauptsächlich die großen Flüsse in asiatischen Ländern als Quelle, da es dort noch keine effektiven Abfallwirtschaftssysteme gibt. In Deutschland ist es zwar relativ unwahrscheinlich, dass von einer Recyclinganlage eine große Menge Kunststoff in die Umwelt gelangt, z.B. durch einen Regenguss in die Kanalisation geschwemmt wird. Aber durch unser großes Verkehrsaufkommen haben wir zum Beispiel einen hohen Abrieb von Autoreifen. Dadurch ergibt sich trotz einer guten, “abgeschlossenen” Abfallwirtschaft ein relativ großer Output an Mikro- und Kleinstpartikeln in die Umwelt.

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Es gibt derzeit viele Kampagnen zum Thema Zero Waste. Wäre es möglich, Plastik insgesamt zu vermeiden bzw. darauf zu verzichten?

Das Widersprüchliche am Umgang mit diesem langlebigen und nachhaltig einsetzbaren Material ist, dass es massenweise produziert wird und seine Vorteile der Beständigkeit damit zu einem großen Problem geworden sind. Anstatt auf die mögliche, lange Nutzungsdauer zu setzen, produzieren wir aus Kunststoffen Wegwerfprodukte!

Wir müssen die Vorteile des Materials in einer höheren Wertschätzung ausdrücken. Das Problem ist also nicht das Plastik, sondern wie wir damit umgehen.

Daher ist es wichtig, unsere Kunststoffabfälle möglichst vollständig und getrennt zu erfassen, denn damit umgehen wir die mit dem Littering verbundenen Umweltprobleme und haben einen wunderbaren sekundären Rohstoff. Ich denke, es ist in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen, dass Kunststoffprodukte möglichst lange halten sollen. Weiterhin sollte möglichst wenig Kunststoff aus neuem Erdöl hergestellt werden. Außerdem sollte vor allem bei Produkten mit kurzen Nutzungszyklen, z.B. Verpackungen, besonders auf Recyclingfähigkeit geachtet werden, da sie einen Großteil des Plastikmülls ausmachen. Materialalternativen aus Holz oder Papier haben oft keine bessere Umweltbilanz als Kunststoffprodukte. Bei Recyclingmaterial aus Kunststoff aber wissen wir, dass Ressourcen geschützt und Treibhausgasemissionen vermieden werden.

Welche Ansätze zur Lösung der Problematik mit Kunststoffen gibt es?

Es gibt einige Ansätze, die aus verschiedenen Perspektiven etwas entgegensetzen wollen. Die drei wesentlichen Komponenten eines umweltbewussten Verbraucherverhaltens sind Reduzierung, Wiederverwendung und Aufbereitung (Reduce, Reuse und Recycle). Zur Lösung des Plastikproblems müssen möglichst alle Maßnahmen kombiniert werden:

  • Reduce: Reduzierung des Einsatzes von Einwegkunststoffen durch Verbote, Mehrwegsysteme, und Initiativen zur Änderung des Konsumverhaltens sowie zum Einsatz alternativer Materialien.
     
  • Reuse: Verlängerung der Nutzungsdauer über die Wiederverwendung, z.B. durch Nutzung von Secondhandläden, oder die Umnutzung von Produkten.
     
  • Recycle: Materialrückführung im Sinne einer Kreislaufwirtschaft.
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Es gibt in der öffentlichen Kommunikation scheinbar Unklarheiten bezüglich der häufig beworbenen Biokunststoffe. Was verstehen wir darunter?

Es muss unterschieden werden zwischen biobasierten und biologisch abbaubaren Materialien.

  • Biobasierte Kunststoffe bestehen aus nicht fossilem, organischem Material wie Holz oder entsprechenden Pflanzenfasern.
     
  • Bioabbaubare Kunststoffe haben die Eigenschaft, dass sie durch Mikroorganismen vollständig abgebaut werden können. Dabei gibt es verschiedene Stufen:
    1) Bioabbaubarkeit durch technische oder industrielle Prozessbedingungen in Vergärungsanlagen oder gewerblichen Kompostierungsanlagen.
    2) Bioabbaubarkeit durch Heimkompostierung: dieses Material verrottet komplett selbstständig.

Für einen langfristigen Einsatz und für alle Anwendungen eignen sich diese Kunststoffe sicher nicht. Es wäre auch nicht möglich, alle derzeit verwendeten Kunststoffe aus biologischem Material herzustellen. Das Eigenschaftsprofil dieser Materialien ist aktuell dazu nicht ausreichend und wir benötigen zur Herstellung der Rohstoffe eine riesige Bioökonomie, also große landwirtschaftliche Kapazitäten, die wir nicht zur Verfügung haben. Schließlich werden die landwirtschaftlichen Flächen überwiegend für die Produktion von Lebensmitteln benötigt und weitere Erschließungen bergen die Gefahr eines weiteren Biodiversitätsverlustes bzw. die Zerstörung von Ökosystemen allgemein. Ein Beispiel ist hier zum Beispiel die massenhafte Rodung von Regenwald und Pflanzung von Palmölplantagen für die Kosmetik- und Lebensmittelindustrie.

Es gibt tatsächlich Produkte aus bioabbaubaren Kunststoffen, deren chemische Zusammensetzung eine komplette Veratmung, also einen vollständigen Abbau durch Mikroorganismen erlaubt.

„Problematisch hingegen sind die vermeintlich bioabbaubaren Produkte, die lediglich durch einen biologischen Prozess auf eine bestimmte Korngröße zerkleinert werden und dann als Mikroplastik in der Umwelt verbleiben. Dabei findet keine Umsetzung in biologisches Material wie Humus statt und somit auch keine Rückführung in den natürlichen Kreislauf.”

Aus diesen Gründen sind solche Produkte als umweltfreundliche Alternative grundsätzlich problematisch. Bio-Komposttüten beispielsweise halten in der Praxis oft nicht das, was sie versprechen, werden aber von Verbrauchern bewusst und mit reinem Gewissen in die Umwelt ausgebracht. Die zu 100% bioabbaubaren Produkte sind leider die Ausnahme, aber viele Produktwerbungen täuschen Umweltverträglichkeit vor. Auf Basis dieser Argumentation hat sich eine ganze Industrie entwickelt

Welche Möglichkeiten bietet das Recycling und welche Grenzen hat es?

Recycling verfügt über große Potentiale, weil ein ungenügendes Erfassungssystem und die Herausforderungen bei der Aufbereitung selbst die Effektivität mindern. Möglichkeiten der Verbesserung stecken auch in der Gestaltung der Produkte selbst, die in Bezug auf Funktionalität und Marketinggesichtspunkte optimiert sind, jedoch nicht dahingehend, dass sie gut verwertet bzw. in den Produktkreislauf zurückgeführt werden können.

Wir sollten uns also auf die Änderung der Produktgestaltung konzentrieren und nicht nur versuchen, auf der Entsorgungsebene alles richtigzumachen. Selbst mit dem größten zivilgesellschaftlichen Engagement lässt sich die schlimmer werdende Verschmutzung nicht eindämmen. Denn es gelangt weiterhin Einwegplastik in die Umwelt. Priorität ist es, zu schaffen, dass ein Großteil des produzierten Plastiks recycelt wird. Darauf sollten wir uns als Gesellschaft konzentrieren, da es das Problem an der Wurzel angeht.

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Nachfrage: Was halten Sie von, derzeit medial sehr präsenten, Ocean Plastic Initiativen und Produkten, die aus dem in den Meeren gesammelten Plastik hergestellt werden?

Einerseits sehe ich solche Bemühungen positiv, denn es gibt dem Plastikproblem und dem Recycling Aufmerksamkeit. Die Produktion von Gütern aus z.B. gesammeltem Plastik aus den Ozeanen sind eine publikumswirksame Idee, das grundlegende Problem dabei wird dadurch jedoch nicht gelöst: es verhindert nicht, dass Kunststoffprodukte in die Umwelt gelangen.

„Solche Sammelaktionen werden als Lösung einer komplizierten Problematik kommuniziert und wahrgenommen. Die so aus der Umwelt zurückgeholten Mengen sind im Vergleich zum hinzukommenden Neueintrag gering. Der Transport des Ocean Plastic über weite Strecken sorgt darüber hinaus für zusätzliche Emission von CO2 und schwächt wohl als viraler Trend in den Medien auch den Absatzmarkt einfacher Rezyklate.”

Neben einer Umstellung der Produktionsbedingungen ist das lokale Recycling aus Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit eine zielführende Maßnahme. Eine umfassende Erfassung über Systeme wie die Verpackungssammlung in Deutschland und eine hochwertige Nutzung dieser sekundären Ressourcen kann einen wesentlich größeren Beitrag zu Ressourcenschonung und Umweltschutz leisten.

Welche nächsten politischen Schritte wären aus wissenschaftlicher Sicht jetzt sinnvoll?

Das Verbot der Einwegkunststoffe ist in erster Linie symbolisch, da sie nicht die große Menge ausmachen. Es ist natürlich ein wichtiger Schritt, da Einwegprodukte ein Paradebeispiel für unsere Ressourcenverschwendung sind. Und für die Städte und Gemeinden ist es natürlich auch ein ästhetisches Problem des Stadtbildes, wenn überall Kaffeebecher und Einweggeschirr herumliegen und die Mülleimer überquellen.

  1. Um das Kunststoffrecycling aber mengenmäßig noch weiter zu fördern, plädiere ich ganz klar für die Einführung einer Quote, also einen Mindesteinsatz von 30% recycelter Kunststoffe. Wo es technisch und wirtschaftlich möglich ist, sollte eine gesetzliche Regelung zum Einsatz von Rezyklat anstatt von Primärmaterial verpflichten.
     
  2. In einem zweiten Schritt sollten die Kosten für Primärmaterial erhöht werden. Denn die Kosten sind bei der Produktion nur deshalb so gering, weil die ganzen damit verbundenen Umweltauswirkungen nicht eingepreist werden müssen. Müssten zum Beispiel die produzierenden Unternehmen als Inverkehrbringer, gemäß der erweiterten Herstellerverantwortung, die Reinigungskosten für die Kunststoffe der Müllstrudel im Pazifik tragen, würden auch die aus dem Primärmaterial hergestellten Produkte teurer. Bisher werden die Umweltkosten bei der Kunststoffproduktion von der Gesellschaft getragen. Das ist Teil eines übergeordneten Problems, nicht nur bei Kunststoffen, sondern in vielen Bereichen des zivilisatorischen Lebens. Volkswirtschaftliche Folgekosten des Konsums werden, den für den entstehenden Müll verantwortlichen, Herstellern der Wegwerfprodukte bisher nicht in Rechnung gestellt.

Leider sind Verbote notwendig geworden. Wir müssen jetzt die notwendigen Schritte tun, um unsere Zukunft zu sichern. HolyPoly will Hersteller von Kunststoffprodukten begleiten, um gemeinsam die Vorgaben und selbst gesteckte Ziele für mehr Recycling in den Unternehmen und auch in der Gesellschaft zu erreichen. Als Abfallwirtschaftler weiß ich, welche Maßnahmen nötig sind, aber auch wie kompliziert die Thematik ist und wie schwierig die Implementierung der Kreislaufwirtschaft für die Unternehmen sein kann. Ich möchte durch meine Tätigkeit einen Teil zur Bewältigung dieser Problematik beitragen.

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